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Gecancelt? Kein Problem, dafür gibt’s jetzt eine Versicherung

Pablo Guillamon

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Gecancelt? Kein Problem, dafür gibt’s jetzt eine Versicherung

Ich bin mit dem Internet groß geworden – und damit auch mit der Cancel Culture. Ich habe miterlebt, wie sie sich von einem Nischentrend zu einer gefürchteten Macht entwickelt hat.

Für alle, die nicht denselben digitalen Werdegang hinter sich haben: Wenn eine bekannte Person moralisch danebenhaut, wird sie öffentlich an den Pranger gestellt – oder anders gesagt: „gecancelt“. Ein Beispiel? Thomas Gottschalk (- sein Versuch der Selbstreflexion hat die Sache auch nicht gerade besser gemacht).

In den letzten Jahren hat sich eine digitale Guillotine über den sozialen Medien aufgebaut – und mittlerweile ist niemand mehr sicher. Daher sollte es eigentlich nicht überraschen, dass es jetzt eine Versicherung gegen Cancel Culture gibt. Und trotzdem: Es hat mich überrascht. Eine Kollegin fasste es ganz treffend zusammen: „Klingt wie ein PR-Gag und völliger Quatsch.“ Vielleicht. Aber ich will es nicht gleich abtun. Könnte so eine Versicherung tatsächlich Sinn machen?

Sicher ist sicher… oder?

„Aber was genau deckt so eine Cancel-Culture-Versicherung ab?“, höre ich euch fragen. Kurz gesagt: Sie ist eine Kooperation zwischen einer Versicherung für Superreiche – die normalerweise Dinge wie Entführungen, Terroranschläge oder Gewalt am Arbeitsplatz absichert – und einer Krisen-PR-Agentur.

Das Paket beinhaltet 60 Tage Krisenkommunikation, eine 24/7-Hotline und Maßnahmen, um weiteren Reputationsschaden zu verhindern. Außerdem gibt’s Schutz vor Fake News, Deepfakes und sogar physischer Bedrohung.

Auf den ersten Blick klingt das nach einer cleveren Geschäftsidee. Cancel Culture hat eine Atmosphäre der Angst geschaffen, und die Wucht, mit der Menschen heute gecancelt werden, ist nicht zu unterschätzen. Klar, problematisches Verhalten sollte nicht einfach durchgewunken werden. Aber manchmal schießt der digitale Pranger übers Ziel hinaus – und mit der Dauerbeschallung im Netz geht es inzwischen schneller denn je, dass jemand wegen eines verhältnismäßig kleinen Fehltritts gecancelt wird.

Vielleicht ist so eine Versicherung also so etwas wie ein Rettungsring. Oder eine Sicherheitsdecke, die auf schräge Weise beruhigt – weil sie Menschen dazu verleiten könnte, sich moralische Fehltritte zu erlauben, in dem Wissen, dass ein Expertenteam bereitsteht, um die Wogen zu glätten. Aber mal ehrlich: Gegen langfristige Imageschäden wird auch diese Police wenig ausrichten können.

Ein Schutzschild für den Ruf?

Das Problem ist: Das Internet vergisst nichts. Selbst wenn die Versicherung dabei hilft, einen Shitstorm kurzfristig zu managen, bleibt der langfristige Schaden bestehen.?

Erschwerend kommt hinzu: Einige der heftigsten Skandale der letzten Jahre haben Karrieren komplett zerstört. Manche landeten im Knast, andere gingen bankrott oder wurden aus der Öffentlichkeit verbannt – die Versicherung deckt aber nur kurzfristige Effekte ab

Dazu kommt: Immer mehr gecancelte Promis arbeiten inzwischen an ihrem Comeback – oder haben den Shitstorm einfach ausgesessen. Fynn Kliemann taucht zum Beispiel langsam wieder auf Social Media auf. Oder, wenn wir etwas globaler werden wollen, Donald Trump? Nun, über seine „Vergehen“ müssen wir nicht reden – und trotzdem ist er wieder einer der mächtigsten Männer der Welt. Manche sind eben unantastbar.

Mein Fazit? Ein Versicherungsvertrag wird der öffentlichen Meinung nicht den Wind aus den Segeln nehmen. Geld kann kein Vertrauen zurückkaufen und keine Erinnerungen löschen. Und wenn jemand sich vorsorglich gegen Cancel Culture versichert, noch bevor er überhaupt etwas angestellt hat – was sagt das dann über ihn aus? Das könnte die eigene Reputation schneller beschädigen als ein unbedachtes Twitter-Posting. Noch dazu vermittelt die Idee einer Cancel-Culture-Versicherung, dass Verantwortung einfach ausgelagert werden kann, statt sich ihr zu stellen. Ein gefährliches Spiel.

Ja, das Ganze wirkt wie ein PR-Gag. Aber ich bin gespannt, ob sich diese Versicherung wirklich durchsetzt – und vor allem, wer sie am Ende abschließen wird.

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